Meiner Frau zuliebe:
Anleitung zum Arztbesuch bei einem Allgemeinarzt
Ungeduldige und drängelnde Patienten haben nicht nur selber
Stress - sie verursachen auch gehörig Stress sowohl beim Personal
wie auch beim Arzt. Ziel dieses Beitrages ist es, gegenseitiges Verständnis
zu wecken und so unnötigen Stress abzubauen. Alle Beteiligten sind
Menschen und würden sich gerne auch als solche behandelt fühlen.
Wartezeiten, ein leidiges Thema:
Wer weiß überhaupt, was "Patient" bedeutet?
Das Wort ist abgeleitet von "patientia" (lateinisch): das Erdulden,
Ertragen, Ausdauer, Abhärtung,
Geduld
Allgemeinarztpraxen kann man im Gegensatz zu den meisten Facharztpraxen
NICHT als Bestellpraxen führen. Wenn die Leute krank sind, sind sie
eben krank. Das ist nicht planbar. Insbesondere während Grippewellen
und dem Durchzug anderer ansteckender Krankheiten können die Warteizeiten
oft erheblich und unerwartet sein.
Die längsten Wartezeiten sind montags und freitags sowie vor und
nach Feiertagen. Aber auch während Vollmondphasen!
Gute Ärzte haben i.d.R. auch einen regen Zulauf. Deshalb ist dort
grundsätzlich mit längeren Wartezeiten zu rechnen.
Wartezeiten können auch aufgrund unaufschiebbarer Hausbesuche entstehen.
Dann ist der Arzt schlichtweg nicht in der Praxis.
Auch werden Wartezeiten verlängert, wenn der Kollege mal nicht
da ist und sich der Arzt um die Patienten der anderen Praxis kümmern
muss. Damit ist neben der üblichen Urlaubszeit und um "Fenstertage"
herum insbesondere auch gegen Quartalsende zu rechnen. Der Grund: Viele
Leistungen der Ärzte sind budgetiert. So manche Abrechnungskünstler
machen dann einfach ihre Praxis zu. Die Patienten müssen dann von
anderen Ärzten in der Nähe mitversorgt werden.
unfair!
möchte so mancher Patient meinen, wenn Andere vor im dran kommen.
Dafür kann es aber viele Gründe geben:
-
Es geht nur um Kleinigkeiten. Z.B. Impfung oder angekündigte Blutentnahme,
die teilweise von den Helferinnen erledigt werden können. Wer hat
schon Verständnis dafür, wenn er für eine zwei Minuten dauernde
Behandlung zwei Stunden warten muss und dafür nicht mal unbedingt
einen Arzt braucht?
-
Patient war schon vorher da und wurde wegen absehbar langer Wartezeit "zum
Spazierengehen" geschickt.
-
Verdacht auf hoch infektiöse Krankheiten wie z.B. Windpocken. Der
Arzt bzw. die Helferinnen werden dann alles daran setzen, diesen Patienten
möglichst isoliert und schnell zu behandeln. Nur so kann eine Infektion
der übrigen Patienten vermieden werden. Leider haben weder Arzt noch
Helferinnen Einfluss darauf, ob solch infizierte Patienten in die Praxis
kommen oder nicht, weil die Betroffenen i.d.R. gar nicht wissen, an welcher
Krankheit sie leiden.
-
Notfälle. Sie sind oft für den Laien nicht erkennbar. Das Personal
wird die übrigen Patienten aus Gründen der Schweigepflicht NICHT
über diesen Notfall informieren! Aber sie können durchaus Grund
genug sein, um manche Patienten in der Warteliste nach vorne zu ziehen.
-
Menschlichkeit. Mitunter (gottseidank recht selten) kommt es vor, dass
jemand plausible Gründe hat, einen Arzt aufzusuchen und trotzdem unaufschiebbare
Termine einzuhalten hat. Während man offensichtlich gebrechlichen
Menschen gerne freiwillig den Vortritt lässt, können jedoch auch
junge und gesund aussehende Menschen in missliche Lagen kommen, insbesondere
dann, wenn sie Verantwortung für Andere tragen. Z.B. für kleine
Kinder...
Verkürzung von Wartezeiten:
-
Sagen Sie bereits an der Rezeption, weshalb Sie hier sind! Dann
können die Helferinnen oft schon die Wartezeiten abkürzen - z.B.
im Falle von Impfungen, Blutentnahmen oder bekannten Anwendungen wie z.B.
Mikrowelle, Reizstrom usw.
-
Nehmen Sie sich Zeit mit und lassen sich von ihr nicht unter Druck setzen.
Denken Sie daran, was "Patient" sein heißt! Sehr hilfreich
sind dabei Bücher, Laptop oder Dinge, die man im Wartezimmer erledigen
kann.
-
Rechnen Sie auch mal mit längeren Wartezeiten. Die Helferinnen werden
ihnen diese ggf. mitteilen und Sie dann vielleicht für eine gewisse
Zeit zum Spazierengehen schicken. Überlegen Sie also schon vorher,
was Sie während dieser Zeit erledigen könnten. Z.B. Einkaufen
in der Nähe.
Praxisphilosophie, Bescheinigungen, Gutachten, Kuranträge usw.:
Ärzte sollen in erster Linie der unmittelbaren Gesundheit der Patienten
dienen. Diese hat absoluten Vorrang vor allem Anderen. Aus diesem Grund
und weil er i.d.R. unverhältnismäßig großen Zeitaufwand
erfordert, wird der "Papierkram" zugunsten der Patientengesundheit manchmal
etwas vernachlässigt. Deshalb muss man leider damit rechnen, dass
diese Sachen schon mal "etwas länger" auf sich warten lassen.
"Faule Doktors":
Sieht man sich die Sprechzeiten der Hausärzte an, so ist man gerne
geneigt, ihnen Faulheit zu unterstellen. Von einer 40-Stunden-Woche scheinen
sie demnach weit entfernt zu sein. Eine 70-Stunden-Woche ist leider nicht
selten die Realität und oft genug sogar noch untertrieben. Wie das?
Hausbesuche sind sehr zeitintensiv. Sie können nur in sprechstundenfreien
Zeiten gemacht werden. Also VOR der Sprechstunde, während der "langen"
Mittagspause (die für den Arzt nicht selten komplett ausfällt),
abends und an Wochenenden. Damit ist die 40-Stunden-Woche für den
Arzt i.d.R. mehr als voll. Aber dann kommen noch die Versicherungen, Gutachten,
Atteste, Bescheinigungen, Kuranträge usw., die die Patienten z.B.
für einen Wechsel in eine private Krankenkasse, für Rentenanträge,
Tauchsport, Behindertenausweis, Haushaltshilfen, medizinische Hilfsmittel
und vieles Andere mehr benötigen.
Ach ja - das liebe Geld, mit dem das komplette Praxisteam, die Lieferanten
und der Arzt bezahlt werden müssen. Anders als bei Angestellten, die
ihr Geld regelmäßig und automatisch auf ihr Konto überwiesen
bekommen, müssen selbstständige (und somit auch niedergelassene
Ärzte) ihre erbrachten Leistungen generell penibel nachweisen. Diese
Nachweise entstehen nicht von selbst, sondern müssen mit großem
Aufwand niedergeschrieben und mehrfach kontrolliert werden, weil einem
sonst gleich Betrug von der Abrechnungsstelle unterstellt wird. Hier sind
zwar die Helferinnen eine große Hilfe. Aber der Abrechnungsmodus
unterliegt einer ständigen Änderung. Insbesondere in Zeiten ständiger
Leistungskürzungen wird immer mehr Verwaltungsaufwand gefordert. (Während
man noch bis ca. 1995 ohne Computer mit einer Praxis überleben konnte,
ist das heute kaum noch vorstellbar. Bis 1999 reichten noch Computer mit
33 MHz. Heute braucht man unter 200 MHz gar nicht mehr anzufangen. 700
MHz sollten es schon sein. Und das NUR aufgrund der immer umfangreicheren
Verwaltung; insbesondere für die Datenbank der Medikamenten mit Preisen
und verschlüsselte Diagnosen. Aber auch für Praxisbudgets für
mehrere (!) unterschiedliche Leistungen innerhalb EINER einzigen Praxis,...)
Weiterbildung:
Ähnlich wie im Computergeschäft gibt es auch im Bereich der Medizin
ständig Neues. Patienten erwarten von ihrem Hausarzt, dass er über
die Entwicklungen möglichst genau Bescheid weiß. Es gibt auch
eine Pflicht zur Weiterbildung. Wie der Arzt an dieses Wissen kommt, daran
denkt i.d.R. niemand. Dafür gibt es zahlreiche Fortbildungsveranstaltungen.
Aber diese kosten Zeit. Etwa so viel, wie 5 bis 12 normale Hausbesuche.
Und die Tendenz geht dahin, dass man selbst diese Fortbildungsveranstaltungen
noch mit großem Aufwand verwalten muss. Die Krankenkassern wittern
Möglichkeiten, die Leistungen an die Ärzte noch weiter kürzen
zu können, um das seit vielen Jahren anhaltende "Streichkonzert" noch
weiter fortsetzen zu können.
Die "goldene Nase" der Ärzte und der Neid:
Die Zeiten, in denen man als Arzt schon binnen kurzer Zeit als sicherer
Millionär gelten konnte, sind längst vorbei. Der Stundensatz
eines niedergelassenen Hausarztes liegt heute etwa bei einem besseren Automechaniker.
Der ganze Berufsstand ist (bis auf wenige Ausnahmen) ähnlich "zurecht
gestutzt" worden, wie die Architekten nach dem Zweiten Weltkrieg. Wegen
des Geldes wird heute kaum noch jemand Architekt werden wollen. Hausarzt
genauso wenig. Wer's nicht glaubt, möge sich z.B. die GOÄ (GebürenOrdnung
für Ärzte) besorgen.
Leider ist das Vorurteil, dass sich Ärzte noch immer mit wenigen
Handgriffen eine "goldene Nase" verdienen, kaum auszurotten. Als Konsequenz
daraus reagieren Viele dann mit völlig überzogenem Anspruchsdenken.
Vor allem schlicht strukturierte Menschen wollen gerne die "Puppen tanzen
lassen", weil sie via Krankenkasse die Ärzte "wahrlich fürstlich"
für ihre Dienste bezahlen (glauben sie zumindest). So etwas tut einfach
nur weh. Auch dann noch, wenn man weiß, dass diese Auffassung aus
Unkenntnis oder Dummheit stammt.
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